Obsorge/Kontaktrecht

Die Themen Obsorge und Kontaktrecht betreffen mitunter die sensibelsten Punkte in Zusammenhang mit familienrechtlichen Streitigkeiten. Wer soll für ein minderjähriges Kind nach einer Trennung, Scheidung oder Auflösung einer Partnerschaft hinkünftig obsorgeberechtigt sein? Wo soll dieses Kind seinen Lebensmittelpunkt haben? Wie sollen die Kontakte zwischen Kind und anderem Elternteil ausgestaltet sein bzw. die Betreuung erfolgen? Dass die Führung derartiger Verfahren vor Gericht nicht mit der Führung anderer strittiger Zivilverfahren vergleichbar ist, liegt auf der Hand.

„Gewinnen“ und „Verlieren“ sind gerade in Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren im Grunde keine Kategorien bzw. sollten es nicht sein, da es ausschließlich auf das ankommen sollte, was für das jeweilige Kind in der jeweils konkreten Lebenssituation am besten ist. Hinzu kommt freilich eine zeitliche Komponente: Ändern sich die Lebensumstände eines Kindes wesentlich, wird eine einmal getroffene Entscheidung oder Vereinbarung neu zu fassen sein; anders als Zivilverfahren wird ein sogenanntes Pflegschaftsverfahren daher im Grunde erst mit Erreichen der Volljährigkeit des betreffenden Kindes beendet. Das, was ein Teil heute für sich als „Gewinnen“ aufgefasst haben mag, kann sich im Laufe der Zeit verkehren.

In rechtlicher Hinsicht hat es in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren mehrfach wesentliche gesetzliche Anpassungen gegeben. Aus dem Normalfall der alleinigen Obsorge eines Elternteiles nach einer Trennung oder Scheidung und einem im Wesentlichen 14-tägigen Kontaktrecht an den Wochenenden des anderen wurde ein Standardmodell einer gemeinsamen Obsorge (bzw. Obsorge beider Elternteile). Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer gleichteiligen Betreuung des Kindes im Alltag, sondern betrifft ausschließlich die Vertretungsbefugnis für das Kind, was aus unserer Erfahrung häufig falsch verstanden wird.

Die Judikatur zum Kontaktrecht hat sich mittlerweile dahingehend geändert, dass nunmehr oft Kontakte in einem weiteren Umfang als dem oben skizzierten zuerkannt werden. Dies wiederum hat zu Änderungen in der Rechtsprechung zum Kindesunterhalt geführt, da eine überdurchschnittliche Mitbetreuung des Kindes durch den anderen Elternteil zu einer Schmälerung von dessen Unterhaltsverpflichtung führen kann, je nachdem, wieviele Tage das betreffende Kind nun von wem betreut wird. Aber wieviele (Betreuungs-)Stunden sind ein Tag? Ist eine Nacht ein Tag? Kontaktrechte bzw. Betreuungszeiten und Kindesunterhalt haben daher eine Verquickung erfahren, die oftmals in Pflegschaftsverfahren hineinspielt. Ab dem vollendeten 10. Lebensjahr sind Kinder im Verfahren zudem (in der Regel durch den zuständigen Richter bzw. die zuständige Richterin) persönlich anzuhören. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr können Kinder darüber hinaus eigene Anträge im Verfahren stellen und ist gegen ihren ernsthaft und nachhaltig erklärten Willen eine Entscheidung über Obsorge, hauptsächlichen Aufenthalt und Kontaktrecht nicht mehr möglich.

Neuerungen gab es allerdings auch in formeller Hinsicht: Die Familiengerichtshilfe, eine Stelle mit sozialarbeiterisch und psychologisch geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dem Pflegschaftsgericht zuarbeiten und Empfehlungen erstatten, wurde geschaffen; das Gericht hat weiters die Möglichkeit Kinderbeistände für die von Verfahren betroffenen Kinder zu bestellen und Elternberatung anzuordnen. Als weitere Möglichkeit kann das Gericht auch nach wie vor Sachverständige mit der Erstellung von kinderpsychologischen Gutachten beauftragen. Hierin besteht letztenendes die größte Herausforderung für ein Verständnis derartiger Verfahren: Die Kenntnis der Rechtslage alleine ist hiermit in Pflegschaftsverfahren im Grunde nicht mehr ausreichend. Im Zentrum eines Pflegschaftsverfahrens steht letztlich immer ein konkretes Kind mit seinen eigenen, konkreten Bedürfnissen und Interessen. Dies bedarf eines umfassenden und vor allem auch zukunftsorientierten Blickes auf derartige Verfahren.